Innerhalb des Forschungsprojekts haben sich folgende Fragestellungen und Schwerpunkte als weiterführend erwiesen:
A) Welche spezifischen Qualitäten und Eigenschaften der Tradierung und Weiterschreibung zeigen sich in Artefakten von Performancekunst?
Ergebnisse aus den Interviews wurden qualitativ kategorisiert und auf die verschiedenen Artefakttypen im Modellarchiv angewandt. Anschliessend analysierten, verglichen und überprüften wir Artefakte (Fotografien, Videoaufzeichnungen, Texte, Skizzen, Augenzeugenberichte, Relikte), die im Rahmen des Modellarchivs und der Tagung entstanden waren (siehe Analyse); diesbezüglich verlangte unsere eigene Involviertheit und eine die damit einhergehende mögliche mangelnde Distanz zum Untersuchungsgegenstand eine kritische Reflexion. Die abschliessenden Ergebnisse flossen in die Empfehlungen ein (siehe Ergebniss & Empfehlungen).
B) Wie und wodurch lassen sich Nutzende von den Artefakten und Materialien inspirieren und zu Weiterschreibungen anregen?
Im Zusammenhang mit den Recherchen in den ausgewählten Archiven versuchten wir, die Ein- und Ausschlussverfahren zu eruieren und deren Transparenz sowie die Zugänglichkeit der Dokumente zu überprüfen. Durch die qualitative Evaluation stellten wir fest, dass diesbezüglich ein Desiderat besteht, denn nur durch zugängliche Artefakte kann sich Performancekunst überhaupt in die Geschichte einschreiben. Eines unserer Ziele in der praxisgeleiteten Phase war es deshalb, modellhaft zu zeigen, wie ein ‹Archiv› performativ in Bewegung gesetzt werden kann, d. h., wir forschten mit Nutzenden zu Aktualisierungsmethoden von Performancekunst. Wir konnten aufzeigen, dass sich die künstlerische Forschung ebenso an der Weiterschreibung und Theoriebildung von Performancekunst beteiligt, wie dies die theoretische Forschung unternimmt. Dabei hat sich die Vermutung bewahrheitet, dass Performancekunst besonders gut geeignet ist, um über Konzepte und Methoden der Weiterschreibung nachzudenken (siehe Theoretische Verortung, Analyse, Ergebnisse & Empfehlungen). In der Auswertungsphase unternahmen wir in Kooperation mit dem Medienarchiv der Künste der ZHdK erste Schritte, um die Artefakte unserer Fallstudien in einer einheitlichen, recherchierbaren Datenstruktur exemplarisch sichtbar zu machen. (1) Präventive konservatorische Überlegungen und technische Aspekte der Erhaltung von Artefakten konnten aus Zeitgründen nicht berücksichtigt werden. Wir verweisen deshalb auf andere Projekte, die diesen Fragen seit längerem nachgehen (siehe Links in Ergebnisse & Empfehlungen).
C) Welches sind die intentionalen Verschiebungen und der Mehrwert, die die ‹ursprüngliche› Idee einer Performance durch verschiedene Formen der Aufzeichnung oder andere performative Methoden der Weiterschreibung erfährt?
Mit unserer Forschung konnten wir u. a. darlegen, dass Re-enactments als eine Form der Tradierung – gewollt oder ungewollt – am derzeitigen Hype nach Authentizität von ‹Original› und Präsenz beteiligt sind. Sie sind neben Re-Performances und anderen Aneignungsstrategien als eine von vielen Tradierungsmethoden zu verstehen. Diesbezüglich scheinen sich insbesondere ‹ikonische› Performances, die stark an eine Künstlerpersönlichkeit geknüpft sind (z. B. Joseph Beuys oder Marina Abramovic) einer kritisch-produktiven Weiterschreibung zu entziehen, während Arbeiten, denen eine Handlungsanweisung oder ein Score zugrunde liegt, dies geradezu herauszufordern scheinen. Dabei ist immer zu hinterfragen, wie sich Performances historisch verorten und kontextualisieren lassen, welche Motivationen einer Aktualisierung sich finden und ob und wozu sie das Konzept der ‹ursprünglichen› Idee (un-)bewusst um- oder überschreiben (siehe Theoretische Verortung, Analyse, Ergebnisse & Empfehlungen)
1 Siehe Performance-Vokabular für die MAdeK-Datenbank unter related documents.