Wir konzeptualisieren die Performance-Dokumentation folgendermassen: Jede Art der Dokumentation einer Performance ist eine Übersetzung in ein anderes Medium und demnach eine Weiterschreibung, wobei Artefakte entstehen. Wir verstehen unter Performance-Dokumentation die Summe aller Dokumentationsmaterialien. Jene, die für die Vorbereitung einer Performance benutzt oder hergestellt werden, wie auch Materialien und Medien, die während einer Performance eingesetzt werden, sowie alle medialen Aufzeichnungen, die während der Aufführung entstehen und in Folge die Rezeption und Weiterschreibungen ermöglichen.
In der Diskussion um die Performance-Dokumentation stellt sich nun die Frage des Dokumentarischen, also der Herstellung von Wahrheit und Wissen, wiederum etwas anders. Selbstverständlich ist auch der Performance-Dokumentation inhärent, einen Bezug zum Livemoment herstellen zu wollen. Die Dokumente sollen als Substitut des Ereignisses den Beweis erbringen, dass tatsächlich ein Ereignis stattgefunden hat. Nachdem die Performancetheorie der Negierung der Geschichtsschreibung während 30 Jahren zugearbeitet hat – gemeint ist damit, dass sie nur auf Präsenz und das Liveerlebnis setzte, deren Flüchtigkeit betonte und von jeglicher Dokumentation abriet (1) – hat sich die Diskussion in den 1990er Jahren von der ontologischen in eine phänomenologische Dimension des Beweisens verlagert. Dahingehend, dass Erkenntnis und Wissen gewonnen werden kann darüber, was in Dokumenten erscheint. Zusammenfassend sind es drei Bewegungen, die diese Veränderung in der Bewertung von Performance-Dokumentation hervorgebracht haben.
Eine davon initiierte Amelia Jones, die 1998 feststellte, dass das Performanceereignis die Performancefotografie benötige, um das Ereignis überhaupt erst zu statuieren. (2) Performance wird laut Jones erst durch ihre Dokumente zu einem Werk. Im amerikanischen Copyrightgesetz gilt ein Werk erst als solches, wenn es als Kopie vorhanden ist. Eine Liveperformance, die nur im Moment der Aufführung für ein Publikum existierte und in keiner Weise schriftlich oder technisch aufgezeichnet wurde, ist vom Copyright ausgeschlossen und kann kaum als geistiges Eigentum eingefordert oder definiert werden. (3)
Philip Auslander postulierte zudem, dass die Dokumentation oder Dokumente zuweilen selbst zum Ereignis werden können und nicht unbedingt ein Zeugnis sein müssen. Er spricht damit den Umstand an, dass bereits in den 1970er Jahren Performances für die Kamera entstanden, denen nicht eine Aufführung vor Publikum vorausgegangen war. (4) Barbara Clausen akzentuiert dies, indem sie anhand von Beispielen aufzeigt, dass es Liveperformances gibt, die nur in medialisierter Form vollständig rezipiert werden können. Sie führt das Beispiel von Peter Weibels subversiver Intervention «Polizei lügt» in Wien an. Erst auf dem Foto (5) erschliesst sich die Aktion: Peter Weibel hält ein Schild hoch, auf dem das Wort ‹lügt› steht. Er hält es genau unter die Leuchtschrift eines Polizeipostens, auf dem ‹POLIZEI› steht. Seine Aktion liess er aus diesem Blickwinkel ablichten, sodass erst in der Fotografie die subversive Botschaft gelesen werden kann. «Weibels Status als Performer wird erst in der Rezeption der Dokumentation bewiesen.» (6)
Als dritte Bewegung muss Rebecca Schneiders Ansatz genannt werden. Sie stellt fest, dass die Performance selbst eine Form von Dokument ist, da durch sie kulturelle Praktiken tradiert werden. Zum Beispiel werden im Tanz historische Codes in Form eines Repertoires verkörpert und überliefert. Unter einem Dokument versteht sie nicht nur einen sicheren Wert, der bewahrt wird, sondern alles, was zu einer Handlung verleitet, also performativ ist und im gleichen Mass das Verschwinden und das Erscheinen von etwas in sich trägt. (7) Durch diese Sichtweisen kann eine Neudefinition von Dokumentation im Feld der Performance vorgenommen werden. Laut Auslander ist es nicht prioritär, das Ereignis durch Dokumente möglichst genau zu rekonstruieren, sondern die Performance über Dokumente einem grösseren Publikum zugänglich zu machen. Wenn davon ausgegangen wird, dass Performance Erkenntnis produziert und Dokumente eine Performance erst hervorbringen, hat dies Einfluss darauf, wie mit Dokumenten von Performancekunst historisch und vermittelnd gearbeitet werden kann und wie diese aufbewahrt werden. Ein Performancearchiv darf deshalb nicht eine passive Sammlung sein, sondern soll ein Ergebnis aus performativen Verfahren und Tätigkeiten sein sowie deren Reflektion einschliessen.
1 Hiermit ist Peggy Phelans Argumentation angesprochen, dass sich Performance vor allem durch ihr Verschwinden auszeichne. Vgl. Phelan, Peggy, Unmarked. The Politics of Performance, Routledge, London 1993.
2 Jones, Amelia, “Presence“ in: Absentia: Experiencing Performance as Documentation in: Art Journal, Vol. 56, No. 4, Performance Art: (Some) Theory and (Selected) Practice at the End of This Century (Winter, 1997), pp. 11–18, published by: www.jstor.org
3 Auslander, Philip, Liveness: Performance in a mediatized culture, Routledge London and New York 1999, p. 131–133.
4 Auslander, Philip, «Zur Performativität der Performancedokumentation», in: Barbara Clausen / Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (Hrsg.), After the Act. Die (Re)Produktion der Performancekunst, Verlag für Moderne Kunst, Nürnberg 2006, S. 27.
5 Weibel, Peter, Polizei lügt, 1977, Aus der Serie «Offenes Werk».
6 Clausen, Barbara, Dokumente zwischen Aktion und Betrachter, veröffentlicht auf der Website www.perfomap.de
(heruntergeladen am 3.5.2010).
7 Vgl. Schneider, Rebecca, Performance Remains. Performance Research. 6.2 On Maps, Dartington/UK 2001, S. 100–108 digital www.routledge.com.