Die medieninhärenten Eigenschaften von Artefakten

Empfehlungen:

  • Die Arbeit mit technisch hergestellten Artefakten verlangt nach einem spezifischen Know-how, um diese auch lesen und analysieren zu können.

  • Für die forschende Beschäftigung mit Performances sind ungeschnittene Videoaufzeichnungen (Totale) besonders interessant, weil sie zu folgenden Punkten die umfassendsten Informationen liefern können: zeitliche Dimension, Bewegungen und Abläufe, akustische, ‹ambientale› und räumliche Situationen sowie Publikumsreaktionen. Auch diese Form ist kein Abbild, sondern stellt die aufgenommene Realität in einer Konstruktion her.

  • Subjektive Videoaufzeichnungen sind als Interpretationen zu betrachten, die sich für die künstlerische Weiterschreibung eignen. Sie müssen mit den Performancekünstler/innen jedoch abgesprochen werden, da sie eine Arbeit komplett überschreiben können.

  • Einzelne Fotografien und Bilderreihen enthalten trotz ihrer ausschnitthaften Subjektivität und Konstruiertheit ein spezifisches visuelles Überlieferungspotenzial und stellen in Kombination mit anderen Artefakten wichtiges Material für die theoretische und künstlerische Weiterschreibung dar.

  • Augenzeugen-Statements sollte generell mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Audioaufzeichnungen solcher Statements können viele Details einer Performance, aber auch spezifische Rezeptionsweisen übermitteln. Zudem ist ihnen über die menschliche Stimme eine gewisse leibliche Dimension eigen. Hierbei ist darauf zu achten, wie bewusst diese Aufzeichnungen als Authentifizierungsstrategien eingesetzt werden.

  • Bei schriftlichen Zeugnissen reicht das Spektrum von objektiv berichtenden bis hin zu subjektiv interpretierenden Texten. In jedem Fall sollte offengelegt werden, wer spricht.

  • Der Artefakttyp Objekt / Material (Relikt) hat einen fluiden Charakter. In einer Performance verwendete Materialien oder Objekte stellen nicht automatisch ein Relikt dar, sondern werden erst später dazu gemacht, je nach Kontext oder Wichtigkeit, die die Akteur/innen ihnen zusprechen.

Collagen: Veronika Merklein, Quelle: archiv performativ

Die Audioaufzeichnung vermittelt Aspekte einer Aufführung, die in der audiovisuellen Aufzeichnung häufig ‹untergehen› oder weniger wahrgenommen werden. Bei einer Videoaufnahme werden zwar auditive und visuelle Informationen gleichzeitig aufgezeichnet und können auch synchron rezipiert werden; doch werden akustische Informationen häufig aufgrund der traditionellen Dominanz des Visuellen überlagert oder verwischt.

Die zeitbasierte Videoaufzeichnung hat sich als die gebräuchlichste Dokumentationsform von Performances etabliert. Wird die Aufzeichnung jedoch als authentische Wiedergabe des Livemoments verstanden, löst sie Kontroversen aus. Unterschiedliche Aufzeichnungsstrategien wie z. B. die ungeschnittene Totale oder die subjektive Handkamera vermitteln unterschiedliche Informationen und Sichtweisen. Allen gemeinsam ist ihr subjektiver und fragmentarischer Charakter, der sich im Fall von Schnitten oder Effekten beim Filmen oder im Rahmen der Postproduktion als aktiver Eingriff in die Zeitstruktur des aufgezeichneten Ereignisses artikuliert. Insbesondere die subjektiv bewegte Kamera suggeriert verschiedene Zuschauerblickwinkel, aber auch die ungeschnittene Totale ist als konstruierter Ausschnitt eines Ereignisses zu verstehen, in deren scheinbarer Objektivität sich ein bewusst gewähltes ‹Stilmittel› äussert.

In Fotografien sind Momente innerhalb eines Zeitkontinuums stillgestellt, sie geben die interpretierende Sicht der Produzent/innen wieder. Bei Bildern mit ikonischem Charakter, die einen bestimmten bildwirksamen Augenblick einfangen, ist das Augenmerk der Fotograf/innen auf ‹das beste Bild› und nicht auf den (Handlungs-)Ablauf gerichtet. Eine Aneinanderreihung mehrerer Bilder stimuliert die Bereitschaft der Betrachtenden, die Leerstellen anhand ihrer Imagination zu füllen. Insofern ermöglicht eine Bilderreihe eine Annäherung an die zeitliche Struktur und an den Prozess einer Performance.

Mündliche Augenzeugenberichte sind subjektiv und fragmentarisch, sie ermöglichen aufgrund der direkten Erzählung oftmals eine Schilderung affektiver Wahrnehmungen einer Performance. Das Spektrum schriftlicher Zeugnisse umfasst unterschiedliche Textformen, die nicht nur berichtend oder interpretativ ausgerichtet sein können, sondern auch künstlerisch-literarische Haltungen vertreten können. Diese Textformen geben einen deutlichen Reflexions- und Abstraktionsvorgang ihrer Autor/innen wieder. Zugleich enthalten sie aufgrund der sprachlichen Umsetzung der erlebten Momente Lücken und Bruchstellen.

Materialien und Objekte (Relikte), die von Künstler/innen im Rahmen einer Performance eingesetzt werden, erfüllen unterschiedliche Funktionen für die Weiterschreibung. Sie können z. B. als Handlungsanweisung dienen und geben Informationen über die Intention der Künstlerin oder des Künstlers. Je nach Kontext und semantischer Beschaffenheit sind sie affektiv aufgeladen und tragen als ‹Berührungsreliquie› dazu bei, den Livemoment zu mystifizieren.